Um dem garstigen Frühling in den milden Herbst zu entfliehen kam ein Sao Paulo Flug gerade recht. Das dachten viele und mit einem vollen Flugzeug und maximalem Stargewicht donnerten wir letzten Freitag über die nasse Piste, eine riesige Dampfwalze hinterlassend.
Die roten Pistenendlampen waren wieder einmal beeindruckend nahe aber Flugzeug Hersteller und Flugdatenspezialisten meinen es reiche sogar wenn ein Motor im dümmsten Moment den Geist aufgeben würde. Allerdings müssten wir in dem Fall die deutsche Verordnung ignorieren um das Ding in der Luft zu halten. Aber man sollte ja auch annehmen können, dass es mindestens die Vögel nicht mehr mit uns anlegen im regnerischen Dunkel. Allerdings weiss man nie. Vor Jahren hatte ich nachts über Rom auf einigen tausend Metern Höhe eine, leider für ihn nicht überlebbare, Begegnung mit einem grossen Vogel. Vogelspezialistin Vreni Homberger hat mir dieses unerwartete Zusammentreffen mit der ökonomischen Optimierung der Zugvögel im Steig- und Gleitflug sowie ihrem Schlafmanagement erklärt. Schlafmanagement betreiben wir auch auf dem zwölfstündigen Brasilienflug. Zwei Piloten sitzen immer am Steuer und überwachen, im Gegensatz zu unserem Vogel selig, Luftraum und Systeme, während der Dritte in einer Koje hinter dem Cockpit schläft. Das Kabinenpersonal hat dazu einen sogenannten Lower Deck Crew Bunk im Frachtraum zur Verfügung, via Treppe erreichbar. Für den Passagier stehen Service und Freundlichkeit im Vordergrund, für mich als verantwortlicher Flugzeugführer hingegen zählt, dass die ganze Crew bei einem allfälligen Notfall auch nach zwölf und mehr Stunden Nachtflug noch fit wäre. Gerade der Brasilienflug ist in dieser Jahreszeit nicht ganz ohne. Ein Viertel Jahrhundert Südamerika Flugerfahrung zahlt sich da aus. Den verwunderten bis vorwurfsvollen Blick des Dispatchers (Flugplaner) ignorierend und ein paar Tonnen zusätzlich Sprit tanken hat sich spätestens gelohnt, wenn kurz vor Zielerreichung die Anweisung zur Geschwindigkeitsreduktion oder gar zum Einfliegen in eine Warteschlaufe kommt mit der Warnung der Flugplatz sei wegen schlechter Sicht geschlossen. Und schon bald fliegen die ersten Airliner den Ausweichflughafen an. Der ist aber rasch voll und dann ist Rio Alternative. Aber nicht Copacabana sondern rechnen, tanken und nochmals in die Luft gehen. Da lässt es sich mit etwas Reserven in den Tanks ruhig warten und viel Geld sparen bis die aufsteigende Sonne den Nebel aufgelöst hat. Wir landeten diesmal noch vor Sonnenaufgang und der damit einhergehenden Nebelbildung und brauchten damit die Reserve für einmal nicht. Etwas gutes hatten die aufkommenden Nebelschwaden aber indem uns die gefürchteten Heissluftballone erspart blieben. Brauchtum und Voodoo Glaube ist ja schön aber das steigen lassen von selbstgebastelten Heissluftballons im Anflug auf Sao Paulo ist nicht lustig wenn man träge einhundertneunzig Tonnen unter dem Hintern hat. Gleich gefürchtet von den Motorradfahrern sind übrigens die Drachenkämpfe über die Strassen hinweg. So sind die Antennen die viele Zweiradfahrer montiert haben nicht etwa zum Radio hören, sondern um sich vor dem geköpft werden durch Drachenschnüre zu schützen.
Frühschoppen verdient
So weltoffen und unternehmenslustig Flight Crews sind, so sehr hängen sie an Gewohnheiten und vertrauten Lokalitäten. Quasi als zweite Heimat. In Sao Paulo gibt es hunderte guter Restaurants aber oft geht man an die gleichen Orte. Am Morgen nach dem Flug treffe ich meine Mannschaft meist im „cafe creme“. Muito mais que café, viel mehr als Kaffee, heisst es gross am Gebäude. Und tatsächlich bietet das grosse, nach aussen offene Restaurant alles. Vom Morgenessen, nach dem Flug meist aus einem Bier oder Caipirinha bestehend, Tagesmenue über Mittag, am Abend die grosse Karte und nachher alles für die Nachtschwärmer. Die Gäste sind äusserst interessant vom Geschäftsmann bis zum armen Schlucker der gerade ein paar Reals erbettelt hat. Fussballfeste vor den grossen Bildschirmen sind keine Seltenheit. Kaum sitze ich steuert Zuleidi auf unseren Tisch zu, umarmt uns und erklärt den zuständigen Kellnern, das sei ab sofort ihr Tisch. Die kleine flinke Serviertochter kenne ich seit Jahren und das Wissen um ihre vielen Kinder findet im Trinkgeld Ausdruck. Es ist übrigens die einzige weibliche Bedienung die ich in Sao Paulo je gesehen habe in einer Männer Domäne. Solche Bekanntschaften in der ganzen Welt verleihen unserer Tätigkeit eine persönliche Note und auch Einblick in andere Kulturen. Am Abend wählen wir die Churrascaria Bovinus aus, denn dieses typische Fleischrestaurant à Diskretion müssen die zwei Neulinge in der Crew unbedingt erleben. Für Fleischliebhaber ist es ein Paradies. Wie im Bienenhaus eilt das Personal mit den Fleischspiessen herum. Einzig der Kellner mit den bei Brasilianern so beliebten Hühnerherzen stösst in der Regel bei uns auf Ablehnung. Unser Geschmack wird offenbar auch von anderen Schweizern geteilt, trafen wir doch beim letzten Flug gleich zweimal DJ Bobo in diesem typischen Brasilianischen Restaurant an.