Eine Woche vor dem Nationalfeiertag, Flug Zürich – Sao Paulo. Im Gepäck Schweizer Schokolade für Kollegen. Aufenthalt zwei Nächte nach zwölf Stunden Flug. Vor zwanzig Jahren, selbe Jahreszeit, Zürich - Rio de Janeiro via Genf mit wöchigem Aufenthalt an der Copacabana. Ausgerechnet meinen Koffer wollte der Zöllner inspizieren. Mit strahlendem Gesicht zog er die vierhundert grämmige Toblerone heraus und schaute mich fragend an. Ich nickte ebenso strahlend zustimmend zurück. Schokolade weg, Koffer zu, alles in Butter.
Das Flight Attendant hinter mir regte sich göttlich auf, sprach von Diebstahl, ich dürfe das nicht zulassen. Ich hingegen war völlig zufrieden, denn unten im Koffer lagen Servelat Kränze, ein paar Dutzend Niedermann Bratwürste und ein Kübel Thommy Senf für die Erstaugustfeier. Diskussionslos durch den Zoll gebracht zum verschmerzbarer Preis einer Toblerone. Zwanzig Jahre Luftfahrt zwischen Servelat und Schokolade! Was soll dieser unsinnig tönende Vergleich? Er hat zu tun mit Technologie Entwicklung, unbeschränkter Kommunikation, modernem Reisverhalten und menschlicher Ungeduld. Die Überwindung grosser Distanzen ist mit modernen zuverlässigen Jets einfach, problemlos und direkt geworden, sozusagen normaler Alltag. Am Wochenende schnell nach London, Ibiza, New York oder ein Blitzbesuch in Übersee. Es kostet fast nichts und tägliche Nonstop Verbindungen lassen die Abwesenheit minimieren. Ich erinnere mich an meinen ersten Flug. In den Ferien bei Sanitär Huber in Beringen und an Freitagen in der Silberwarenfabrik Jezler habe ich mir während der Kantizeit mühsam die zweieinhalb tausend Franken teure Swissair Passage nach Chicago verdient um meine Schwester zu besuchen. Trotz allen Jugend, Pex, Apex und sonstigen Konditionen war das vor vierzig Jahren viel Geld um in einer lärmigen unbequemen Röhre zu sitzen. Heute kostet das Ticket keinen Drittel davon und die Reise ist schneller und bequemer geworden. Zu Beginn meiner aviatischen Tätigkeit war Fliegen immer noch etwas Besonderes. Man hat seine Lieben in fernen Ländern nicht jedes Jahr besucht. Umso beliebter waren wir Fliegenden als Überbringer von Grüssen und Lebenszeichen. Zeitungen und Zeitschriften aus der Heimat waren im Fax, Satellitenfernsehen, email, Facebook und Twitter losen Zeitalter begehrt und machten die Runde in den Schweizer Kolonien. Ebenso Zutaten für Nationalfeier und Sylvester. Sogar Feuerwerk hatten wir damals im Gepäck. Swissair selig hat, noch fest in Schweizer Händen, vaterländisch mitgeholfen und helvetische Würste, Käse sowie den Senf dazu, pardon die Ansprache des Bundespräsidenten auf Tonband für die Botschaft mitgeliefert, was uns als Crew dann wieder unvergessliche Feiern im diplomatischen Kreis bescherte. Fantastische Kontakte und bleibende Erinnerungen. Meine durch den Zoll geretteten Würste gefielen übrigens dem Schweizer Generalkonsul damals gar nicht, fanden sich doch einige seiner sonst treuen Gäste nicht zur offiziellen Feier ein, sondern feierten fröhlich vor der Bar von Hans Mayr an der Copacabana und verpassten viel Caipirinha sei dank die diplomatischen Ansprachen.
Das ist heute weitgehend vorbei. Man mailt oder twittert sich die Neuigkeiten zu oder lädt kurz ein Last Minute Ticket runter. Würste sind mittlerweile auf der ganzen Welt essbar und die Rede des Bundespräsidenten fliegt via Satellit. Wir werden schlicht nicht mehr gebraucht für die vaterländische und heimatliche Kommunikation und haben auch die Zeit nicht mehr dafür. Dass diese trendige Veränderung nicht nur uns alte fliegenden Hasen wehmütig stimmt, zeigt das Mail, das ich vor dem Abflug vom damaligen stellvertretenden Generalkonsul in Rio und heutigen Generalkonsul in einer grossen Vertretung bekommen habe: „Das war eine ausserordentlich schöne und bereichernde Zeit für uns, vor allem auch, wenn ich an die ausgezeichneten Kontakte mit der damaligen Swissair denke, die ich immer in bester Erinnerung behalten werde, etwas besseres hätte ich mir gar nicht ausdenken können. Tempi passati, aber der Swissair trauere ich immer noch nach….“ Ich auch aber die Fliegerei geht weiter.
Wir waren daneben oft geduldige Zuhörer, Seelsorger und Psychologen in Personalunion. Heimweh, Isolation, Frauengeschichten oder die verwirkte Rückkehr in die Schweiz liess manchen sehnlichst auf die nächste Swissair Crew warten. Der behäbige Berner J.-P. erfuhr schmerzlich, dass eine unterschlagene halbe Million in Rio bald weg ist. Die sehnlichst erwartete Verjährung erlebte er nicht mehr. Auch der verschollene Bodensee Charly wartete vergeblich auf seine Partnerin mit dem Geld aus seinem inszenierten Bootsunfall. Es war eine rührige Gesellschaft von Geschäftsleuten, Aussteigern, Gaunern, Pensionären, Rentenbezügern, Abenteurern, Staatsanwälten und Ferienaufenthaltern. Es gibt sie immer noch, in Sao, Rio, Bangkok, Douala. Aber auch diese Landsleute orientieren sich heute via Internet und sind auch vorsichtiger geworden im sich outen. Feind könnte mithören. Dafür werde ich, dank schneller täglicher Flugverbindung, zur Erstaugustfeier wieder zu Hause sein.