Sweet Home Chicago

Geschrieben von Markus Müller
Buspassagiere in Chicago: Ein Dakota-Indianer aus Montana mit seiner Frau, die von einem anderen Stamm kommt.

Schön, wieder einmal Chicago und erst noch mit Rückenwind wo eigentlich starke Westwind Strömungen herrschen sollten. Die Flugzeit deshalb eine Stunde kürzer als erwartet. Chicago fasziniert fliegerisch wie auch als Stadt. An- und Abflug, im nach Atlanta Welt weit zweitgrössten Flugplatz nach Flugbewegungen und in einem Umfeld wo die Aviatik Sprache Englisch für Fluglotsen und die meisten Piloten Umgangssprache ist, sind eine Herausforderung und quasi die hohe Schule der internationalen Linienfliegerei. Dass ungenügende Englisch Kenntnisse zur Behinderung des Flugverkehrs und gar zu gefährlichen Situationen führen kann ist eine Tatsache.

Speziell fallen südamerikanische, östliche und französisch sprachige Piloten auf. Dem wird neu Rechnung getragen indem Piloten mit einem Eintrag in der Lizenz ihre Fähigkeit im englischen Sprechfunk nachweisen müssen. Die Schweiz hat, wie gewohnt in vorauseilendem Gehorsam und als Musterschüler uns eine Prüfung ablegen lassen in englischer Sprache. Wenn erfolgreich, es wurde etwa Tessiner Akzent oder nicht perfektes aussprechen des „th“ bemängelt, haben wir nach  Jahrzehnten erfolgreicher internationaler Fliegerei nur den „English Level 4“ bekommen. Das heisst mit dieser tieftsmöglichen Einstufung müssen wir alle paar Jahre kostenpflichtig eine Englisch Prüfung ablegen, damit wir berufsmässig weiter fliegen dürfen. Die Luftamt Beamten spielen sich auf wie kleine Professoren. Am Funk in Chicago oder L.A. würden die Theoretiker aber wohl nicht allzu viel verstehen und beim Rückfragen in Oxford Englisch rasch auf der Warteliste parkiert werden. Andere Länder andere Interpretation der Vorschriften. Genau die Länder die zu Recht im Visier waren, haben ihren Piloten als Besitzstand den höchsten Level im Ausweis eingetragen. Das heisst ihnen wurde lebenslange Fähigkeit im Englischen Sprechfunk zugestanden ohne je eine Prüfung gemacht zu haben oder machen zu müssen. Geändert hat sich damit in der Praxis gar nichts ausser dass wir uns einmal mehr selber benachteiligen. Chicagos Pistensystem ist äusserst komplex und stellt in der Luft und noch mehr beim Rollen eine grosse Herausforderung dar. Während unserem Aufenthalt wurde gerade die achte Piste frei gegeben. Eine neunte ist im Bau, zwei werden verlängert. Im Fernsehen wurde bei der Eröffnung auch ein fünfköpfiges Demogrüppchen mit ihren drei Protesttafeln gezeigt. Die angestrebte Erhöhung der täglichen Kapazität auf 3800 Flugbewegungen ist offenbar kein Politikum. Übrigens auch der Budgetstreit nicht der bei unserer Ankunft noch nicht gelöst war und die Amerikaner wenig bewegt. Sie sind sich den Mechanismus des amerikanischen zwei Parteien Politstreitsystems gewohnt.

Chicagos Skyline taucht im Anflug vom Lake Michigan her immer noch gleich imposant aus dem Dunst auf wie vor fünfundzwanzig Jahren. In Shanghai oder Dubai würde sie allerdings mittlerweile optisch verschwinden. Und die Stadt Obamas hat ihr spezielles Flair und ihre Unaufdringlichkeit behalten. Die Michigan Avenue erinnert an die Zürcher Bahnhofstrasse, das kulinarische und kulturelle Angebot ist riesig. Windy City wird die Stadt oft genannt. Aber nicht von ständigen Wind kommt der Name denn statistisch bläst er nicht stärker als anderswo. Nach Überlieferung kommt „windy“ von unseriös, Windfahne, wankelmütig oder sogar korrupt – schlicht von windiger Politik. Da liessen sich ja durchaus Partner Städte und Kantone in unserem Umfeld finden.

Geschichtskunde im öV

Für Besorgung ausserhalb benutzte ich den öffentlichen Bus. Es war nicht einfach mit dem Chauffeur zu verifizieren ob er dorthin fährt wo ich hin wollte. Aber um den Slang des etwas dunkleren (politisch korrekt) Fahrers zu verstehen hätte auch ein höherer Luftamt Level nichts genutzt. Sofort verstand ich sein "it's free"' als ich nach dem Fahrpreis fragte. Ob das wegen dem Columbus Day sei, ein Feiertag zu Ehren der Landung von Columbus wo Schulen und viele Büros geschlossen sind, verneinte er. Sein Billet Automat gehe nicht und Geld darf er keines annehmen. Das Fahrgeld geht ohne Retourgeld via Rohr direkt nach unten um den Fahrer nicht Überfällen auszusetzen. Ein junger Bursche stieg mit Frau, Kind, Kinderwagen, Schwester und halbem Hausrat ein. Das dauerte und der halbe Bus half schliesslich mit bis alles verstaut war. Der junge Mann setzte sich aufatmend hin. Just zwischen zwei junge Frauen. Hübsch seien sie, er dürfe sicher ein Foto machen. Und schon richtete er sein Handy auf sich und die zwei. Ich musste lachen und schon sass er neben mir. Man sei nicht immer so freundlich miteinander gewesen, erklärte er. Er sei ein Dakota Indianer, seine Frau von einem Stamm den seine Vorfahren noch bis aufs Blut bekämpft hätten, erzählte er dem ganzen Bus. Und plötzlich diskutierte der ganze Bus die Geschichte Amerikas. Jeder hatte seine Story. Bei einem älteren zahnlosen Herrn bin ich nicht sicher ob er oder sein Vater als Sklave Baumwolle pflückte. Nicht dem Luftamt melden sonst muss ich zum nachtest. Ich solle ein Foto machen von ihm und seiner Frau für die Schweiz, forderte mich der Dakota auf. Vom Abbild der amerikanischen Geschichte im Bus bin ich mittlerweile im Schmelztiegel der Kulturen und der modernen Industriegeschichte Singapores angelangt. Auf dem Flug übrigens wieder ein Journalist der SN dabei, diesmal aus der Sportredaktion.

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